HR2 Mikado

Die Kritik von Michael Neuner






FAZ

von Hans Riebsamen

Komische Carmen im Stalburg Theater


Eine "Opéra comique", eine komische Oper, soll "Carmen" nach dem Willen ihres Schöpfers George Bizet sein. Die "Carmen"-Produktion von Frank Wolff, Ingrid El Sigai und Markus Neumeyer, die das Trio jetzt im Stalburg Theater auf die Bühne gebracht hat, ist komisch. So komisch, wie sich vermutlich nicht einmal Bizet sein Werk vorgestellt hat. "Carmen verzweifelt gesucht" - erst 45 Minuten lang in einer flirtenden Annäherung, dann 45 Minuten lang in einer Opern-Parodie. Da muss niemand wie in der großen Oper vor lauter Erschöpfung mal für fünf Minuten die Augen schließen.


Warum haben die drei ihr Stück "Carmen verzweifelt gesucht" genannt? Sie haben doch eine Carmen. Ein stimmgewaltige, tragische, witzige, alberne, verführerische, emanzenhafte, männermordende, liebreizende, wandelbare, kurzum: eine hinreißende Carmen. Ingrid El Sigai, die Vieltalentierte, die genauso gut im Hessischen Rundfunk ansagen wie auf der Bühne zwitschern oder grollen kann, sie ist die Stimme und Seele dieser kurzweiligen Aufführung. Von Witz und Klavier des Markus Neumeyer und von Skurrilität und dem Cello Frank Wolffs wird sie souverän unterstützt.


Wer ist Carmen? Über Friedrich Holländers "Lass mich einmal Deine Carmen sein" über Manuel De Fallas "Sieben populäre spanische Lieder" bis zu Georg Kreislers "Theaterdirektor" macht sich das Trio vor der Pause an die Umworbene heran. Carmen, die klassische Verkörperung des Lustprinzips oder nur eine ordinäre geile Schnalle? All dies ist sie und noch mehr. Ein Vampir auf dem Klavier, der dem armen Soldaten José ihre verführerischen Zähne zeigt, ein lustiges Wiener Madel, das über die Bühne hupft, eine rassige Ungarin, die wütend aufstampft. Ingrid El Sigai wird nicht müde, immer neue Carmens zu erfinden. Und dazu singt sie auch noch die reine Michaela, die für José eigentlich die Richtige wäre.


Carmen in 45 Minuten frei nach Bizet und aus der Übersetzung von Walter Felsenstein frech herausgeklaubt. Sie wollen sich wohl über uns lustig machen, fragen vermutlich in ihrem Grab der Stoffgeber Prosper Mérimée und der Komponist Bizet. Nicht über Sie, meine Herren, können ihre drei Frankfurter Interpreten antworten, wir halten uns nur an das Bizet gewünschte "comique".


Sie, Herr Dichter, sollten sich nicht beklagen, denn ihre ganze schöne Geschichte wird erzählt. Und Sie, Herr Komponist, brauchen sich nicht aufregen, denn alle ihre herrlichen Melodien klingen auf. Aber wir sind hier nicht in der Staatsoper, sondern in einem kleinen Privattheater, da ist das Publikum nicht so streng und begnügt sich mit verkürzten Arien und einem Cello statt mit 40 Streichern. Da werden die beiden Schöpfer von "Carmen" kichern und antworten: "Sie haben ja recht, aber erzählen Sie nichts dem hiesigen Operndirektor, sonst kriegen wir hier in Frankfurt nie mehr eine richtig opulente, tragische Carmen-Aufführung."


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Frankfurter Rundschau

von Stefan Michalzik

Der Tom Waits im Torero


Das Weib ist des Mannes Verderberin. So will es zumindest ein archaisches Frauenbild, das sich im Zeitalter der Industrialisierung in der Figur der Tabakfabrikarbeiterin Carmen manifestiert. Letztlich aber ist der Mann - zumindest zum Teil - selbst schuld. Warum ist er so blöde, unter der Verheißung von Sinnlichkeit derart den Kopf zu verlieren? Noch zumal er sich dergestalt ja zum Schlappschwanz herabwürdigt - derweil sich das Weib tief im Innersten nach einem richtigen Mannsbild sehnt.


Etwa nach dem Zuschnitt des Neandertalers in Günter Neumanns "Carmen". Das ist eine der Nummern in der ersten Hälfte der kabarettistischen Revue "Carmen verzweifelt gesucht" - Titel nach dem Film mit Madonna von Susan Seidelman -, die jetzt im Frankfurter Stalburg-Theater Premiere hatte. Die Sängerin Ingrid El Sigai, der Cellist Frank Wolff und Markus Neumeyer am Klavier fahnden nach dem Männer-Mythos um das Ewigweibliche.


Der Standpunkt ist entschieden heutig. Es wird schon mal Alice Schwarzer als emanzipatorischer Gegenpol zitiert. Doch in erster Linie sind es Klischees, mit denen lustvoll gespielt wird, über die vom "Weib" hinaus jene von "Spanien" und von den "Zigeunern", in Worten und in einer Auswahl aus Manuel de Fallas "Siete canciones populares españolas" sowie Pablo Sarasates Zigeunerweisen. In den Worten geht es mitunter deftig zur Sache.


Der umkreisenden Reflexion über die "Carmen" folgt nach der Pause die Aufführung der Oper. Allemachewas Ischewill ist auf dem Besetzungszettel als Regisseur aufgeführt. Das Gegenteil aber ist der Fall. Einen Regisseur braucht dieses Trio nicht, der Zugriff ist munter anarchisch, in einer auf rund 45 Minuten gerafften parodistischen Form, die bisweilen an ein Melodram erinnert. Im Unernst nimmt man's hier sehr ernst - und vor allem deshalb funktioniert es. Mag die Anverwandlung der populärsten Nummern aus Bizets Oper noch so frei sein, es wird auf einer durch und durch seriösen Grundlage musiziert. Neumeyer, der die Musik bearbeitet hat, lässt immer wieder viel Lust an musikalischer Verfremdung aufblitzen, bis hin zu Momenten einer satirisch motivierten Auflösung der Tonalität. Willkürliche Gewalt aber wird der Musik keine angetan, Mezzosopranistin Ingrid El Sigai singt richtig "schön". Derweil Wolff das allbekannte Torerolied mit heiserer Kehle eher in die Nähe von Tom Waits bugsiert und Neumeyer sich auf der sprechnahen Ebene des Chansonsängers bewegt. Auch Klamauk will gekonnt sein. Und das ist er hier.


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Carmen verzweifelt gesucht, Kritiken